© züritipp (Tages-Anzeiger), 2003-01-24;
Seite 15; Nummer
CANTAUTORE: MIMMO LOCASCIULLI
Ein Poet in der Familie
WINTERTHUR; ALBANI
SA25. 1., 20 UHR
ER IST EIN FREUND DER STILLEN POESIE UND DER MUSIKER, DER
CANTAUTORE MIMMO
LOCASCIULLI.
Von Benedetto Vigne
Dem Timbre nach, diesem typischen cantautorealen
Register, dem beinahe schon emotionslosen Erzählton,
könnte Mimmo Locasciulli glattweg ein kleiner Bruder des
Francesco De Gregori sein. Und in der Tat, die
Wege der beiden haben sich öfters gekreuzt, ja, man kann
sogar sagen, sie hätten zusammen debütiert,
damals im Rom der frühen 70er-Jahre, im legendären
Konzertlokal «Folkclub», dort jenen Stil geprägt, der
später «scuola romana» genannt wurde. Wiederkehrend
arbeiteten sie zusammen, tauschten gegenseitig
Lieder aus, halfen einander auf der Bühne - Locasciulli
war etwa Pianist in De Gregoris Titanic-Band 1982.
Und doch lassen sich feine Unterschiede zwischen den
Gefährten ausmachen; Locasciulli, der in Wahrheit
sogar zwei Jahre älter ist als der bekanntere Römer und
hauptberuflich auch noch als Mediziner tätig ist,
zieht die privaten, persönlichen Welten dem grossen
Gesellschaftsentwurf vor. Und es schleicht sich in
seinen Liedern immer wieder ein subtiler, beinahe schon
resignativer Galgenhumor ein. Mancher seiner Titel
verrät da den Sarkasten: «Povero me» (ich Armer); «Una
vita che scappa» (ein Leben, das davonläuft):
«Quello che
ci resta» (was uns übrig bleibt).
Diesem latenten Pessimismus stellt der Cantautore eine
grosse musikalische Offenheit gegenüber; bereits in
den 80er-Jahren begann er mit elektronischen Klängen zu
experimentieren, er hat mit den «lärmigen»
Seiten der Musik geflirtet, die Tom-Waits'sche Heilsarmee
entdeckt. 1987 traf er am Premio Tenco in
Sanremo persönlich das amerikanische Vorbild und
befreundete sich mit dessen Bassisten Greg Cohen.
Cohen produzierte danach in New York Locasciullis
kühnstes Album «Tango dietro l'angolo» (Tango um die
Ecke). 1998 erschien das bislang letzte Studiowerk, das
Coversong-Album «Il futuro», wo Mimmo etliche
Meister der grossen angloamerikanischen Schule aufgriff -
Leonard Cohen, Neil Young, Bob Dylan, Elvis
Costello - und allesamt auf Italienisch sang, in seine
eigene unemphatische Tonart übertrug. Nach einer
längeren Pause meldet sich der stille Poet mit einer
ausgedehnten Tour zurück, die er zusammen mit Greg
Cohen absolviert. Und apropos Heilsarmee-Orchester - dank
der Managerkonstellation hat er in der Schweiz
zufällig einen neuen Freund gewonnen: Hier zu Lande
bekommt Mimmo Bühnensupport von Büne Huber
(allerdings nicht in Winterthur.) Da passt der Titel des
aktuellen Doppelalbums, einer neu eingespielten
Best-of-Sammlung, bestens: «Aria di famiglia».
Mimmo Locasciulli, hauptberuflich als Mediziner tätig, meldet
sich nun als Musiker zurück.