© Basler Zeitung Agenda, 2003-01-23; Seite 8; Nummer 2003-4
Basler Agenda; Sounds
Italiens bester Cantautore? Mimmo Locasciulli kommt - Büne Huber begleitet ihn
Prophet im eigenen Land
Rohr Mathieu von mvr
Von MATHIEU VON ROHR
Die glorreichen Zeiten der italienischen Cantautori sind Vergangenheit. Die kritischen Sänger sind
verstummt. Billige, von langbeinigen Blondinen gesäumte TV-Oberflächlichkeit hat die Macht übernommen.
Schein triumphiert über Wahrheit und ganz Italien steht im Banne des wieder gewählten Blenders, König
Silvio. Ganz Italien? Natürlich nicht. Das Autorenlied lebt fort, die alte Garde, sie veröffentlicht und
veröffentlicht, nur an Relevanz hat sie verloren.
Zum Glück gibt es immer noch ihn: Mimmo Locasciulli. Schon vor sieben Jahren, als Berlusconi zum ersten
Mal im Amt war, widmete der scharfsinnige Poet seinem neuen Ministerpräsidenten das Lied «Il Cane» - die
Geschichte eines Hündchens, das nicht sieht, wie die Welt wirklich ist, und das jedes neue Herrchen für das
Allerbeste hält. Mit dem Hund war nicht Berlusconi gemeint, sondern das Wahlvolk. «Nein, Berlusconi ist
kein Hund», stellte Locasciulli allfällige Missverständnisse richtig, der sei vielmehr «un bastardo». Seinen
Landsleuten unangenehme Wahrheiten mitzuteilen, davor scheute er noch nie zurück. Italien sei kein
zivilisiertes Land, seufzt der Liedermacher gern.
Fast hätte er den Papst gerettet
Doch es ist wie so oft: Im eigenen Land gilt der Prophet nichts. Und obwohl Locasciulli heute vielen als der
Beste seiner Zunft gilt, blieb er in Italien zu Unrecht eine verkannte Grösse. Vielleicht auch, weil der
Cantautore mit dem Berühmtwerden nie viel am schwarzen Schlapphut hatte. Berühmt wäre er dafür einmal
fast in ganz anderer Mission geworden: Am 13. Mai 1981, Tag des Attentats auf Papst Johannes Paul II.,
wurde der Heilige Vater ins Ospedale Santo Spirito eingeliefert. Auf dem Dienstplan stand Dottore Mimmo
Locasciulli. Wäre er dagewesen - er hätte der Arzt werden können, der das Leben des Papstes rettete. Doch
Locasciulli war nicht da. Zu Hause sass er, an seinem Flügel, und komponierte selbstvergessen vor sich hin.
Eine jener allzu schönen Anekdoten? Jedenfalls bringt sie das Doppelleben dieses Mannes auf den Punkt,
der neben seiner bürgerlichen Ärztekarriere ein unbürgerliches Cantautore-Leben führt, sentimentale,
persönliche, politische Lieder singt und schreibt, sich nächtelang im Tonstudio verkriecht und zu wenig
schläft.
Ein Duett mit Büne Huber
Schon vor dreissig Jahren hätte er gross herauskommen können, im Kreis der italienischen Dylan-Verehrer
um Antonello Venditti und Francesco de Gregori, die später die grossen Erfolge feierten, während Locasciulli
ab 1975 erfolglos Platten veröffentlichte und es nur als Tourpianist von de Gregori auf die grossen Bühnen
schaffte. Zur Blüte kam der singende Dottore ab 1986. Da lernte er Tom Waits' Bassisten Greg Cohen
kennen. Seither haben die beiden eine ganze Reihe hinreissender Alben aufgenommen, Lichtjahre entfernt
vom durchschnittlichen Italopop, die zu den besten Veröffentlichungen des Cantautori-Genres überhaupt
gerechnet werden.
Jetzt kommen Locasciulli und Greg Cohen nach Basel ins nt/Areal, im Gepäck ihre neuestes Werk, die
Doppel-CD «Aria di Famiglia», die ein Rückblick ist und Lieder der letzten dreissig Jahre versammelt, neu
aufgenommen. Präsentieren wird der Barde dort auch sein neuestes Lied: Patent Ochsners «Hotelsong»,
den er auf Italienisch übertragen hat. Ochsner-Sänger Büne Huber, beim selben Manager unter Vertrag,
wird auch dabei sein: Angekündigt ist ein Duett.
Basel, nt/Areal. Do, 23. 1., 22 Uhr.
Arzt und Chansonnier: Mimmo Locasciulli führt ein Doppelleben. FOTO ZVG